Kleine Dokumentation historischer Sturmfluten
Hintergrund
Im Februar 2012 jährte sich zum 50. Mal die sogenannte Hamburgflut. In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962, ereignete sich eine sehr schwere Sturmflut, die vor allem in Hamburg verheerende Schäden hervorrief und über 300 Menschen das Leben kostete. Diese Sturmflut war eine der folgenschwersten Naturkatastrophen in Deutschland seit Jahrhunderten. Die aufgetretenen Wasserstände waren die bis zu diesem Zeitpunkt höchsten jemals gemessenen Werte überhaupt. Die Sturmflut wurde durch einen Orkan aus nordwestlichen Richtungen, der immer mehr Nordseewasser u. a. in die Elbe drückte, verursacht. Obwohl bereits am Morgen des 16. Februar eine Orkan- und Sturmflutwarnung erfolgte, rechnete in Hamburg niemand damit, dass die 100 Kilometer von der Küste entfernte Stadt bei einer Sturmflut extrem gefährdet sein könnte. Am Abend wird die schwerste Sturmflut seit über 100 Jahren vom Deutschen Hydrographischen Institut (heute BSH) vorhergesagt und kurz nach 22:00 Uhr strömt das Wasser bereits in Cuxhaven über die Deiche. Kurz darauf brechen entlang der Elbe viele Deiche. Nach Mitternacht brechen dann die ersten Deiche auch in Hamburg. Innerhalb weniger Stunden wird ein Fünftel des Hamburger Stadtgebietes überschwemmt. Die niedriger liegenden Stadtteile wie Wilhelmsburg und Georgswerder sind besonders betroffen. Über 300 Menschen sterben, etwa 6000 Häuser werden zerstört und 75.000 Menschen müssen ihre Wohnungen verlassen; Gas, Strom und Wasser fallen für Tage aus. Die Flut fiel auch deshalb besonders stark aus, da es zwei Tage vor Vollmond war und damit Springtiden auftraten; eine Fernwelle aus dem Nordostatlantik erhöhte den Wasserstand bei Cuxhaven noch zusätzlich um etwa einen Meter.
Diese Sturmflut traf die deutsche Nordseeküste fast unvorbereitet. Seitdem ist viel für den Küstenschutz in Deutschland getan worden. Viele Küstenschutzmaßnahmen, wie z. B. der Bau von Sturmflutsperrwerken, Deichverstärkungen und -erhöhungen wurden durchgeführt sowie der Sturmflutwarndienst verbessert. Diese Anstrengungen müssen insbesondere im Hinblick auf die Folgen eines globalen Klimawandels und dem weltweiten Meeresspiegelanstieg intensiviert werden, um auch zukünftig einen ausreichenden Schutz vor Sturmfluten zu gewährleisten.
Ich stand in den Tagen der 62'er Sturmflut als kleiner Junge mit meinem Vater an einem beschädigten Deich in Nordfriesland und war von den Naturgewalten so beeindruckt, dass extreme Sturmfluten mein Berufsleben als Ingenieur und Forscher geprägt haben. Mit dieser kleinen Dokumentation möchte ich die katastrophalen Sturmfluten der Vergangenheit in Erinnerung rufen. Diese Sturmfluten stellen neben Kriegen und Seuchen die größten Katastrophen in Norddeutschland dar und haben nicht nur Rungholt im Jahre 1362 vernichtet sondern auch die Nordseeküsten mit den Inseln und Halligen dramatisch verändert.
Für die Unterstützung bei der Recherche zu historischen Sturmfluten danke ich meinen Kollegen Dr. Sylvin Müller-Navarra und Dr. habil. Dirk Meier. Mitgewirkt bei der Erstellung der Dokumentation haben auch Heike Dreyer (BSH), sowie die Mitarbeiter des fwu, u. a. Dr. Torsten Frank, Arne Arns und Manuel Gröschel.
Prof. Dr.-Ing. Jürgen Jensen
Tabellarische Übersicht historischer Sturmfluten
Ereignis | Datum | Gebiet | Wasserstand | Windstau | Schäden | Bemerkungen |
---|---|---|---|---|---|---|
Cimbernflut | ca. 120/115 v. Chr. | schlesw.-holstein. Küste | k.A. | k.A. | k.A. | Völker der Marschen verließen Heimat Richtung Süden |
Erste dokumentierte Sturmflut | 26.12.838 | niederl. Küste | k.A. | k.A. | 2.500 Tote | die erste dokumentierte Sturmflut |
Erste Julianenflut | 16. bis 17.02.1164 | niederl. Küste, Elbe | k.A. | k.A. | 20.000 Tote | verursacht große Schäden im Elbegebiet |
Erste Marcellusflut | 16.01.1219 | niederl. Küste, Elbe | k.A. | k.A. | 36.000 Tote | verursacht große Überflutungen im Elbegebiet |
Luciaflut | 13. bis 14.12.1287 | niederl. und deutsche Küste | k.A. | k.A. | 50.000 Tote | Zerstörung von 50 Dörfern |
Zweite Marcellusflut, Erste Manntränke | 15. bis 17.01.1362 | gesamtes Nordseegebiet | k.A. | k.A. | 100.000 Tote | Untergang von Rungholt und große Teile Nordfrieslands |
Allerheiligenflut | 01.11.1436 | Deutsche Bucht | k.A. | k.A. | 500 Tote | Überflutungen an der gesamten Nordseeküste |
Dritte Allerheiligenflut | 31.10. bis 01.11.1532 | niederl. u. deutsche Küste | NN+4,16 m (Klixbüll) | k.A. | über 1.000 Tote | Untergang von Osterburg und Ostbense |
Vierte Allerheiligenflut | 01. bis 02.11.1570 | niederl. u. deutsche Küste | NN+4,45 m (Suurhusen) | k.A. | 20.000 Tote | Überflutung der Marschen Flander-Eiderstedt |
Große Schadensflut | 01.12.1615 | Deutsche Bucht | k.A. | k.A. | 300 Tote | Verwüstung der Insel Strand |
Fastnachtsflut | 25. bis 26.02.1625 | Elbegebiet | k.A. | k.A. | k.A. | Deichbrüche unter anderem im Alten Land und Hamburg |
St.-Pauli Flut | 25.01.1634 | Elbegebiet | k.A. | k.A. | k.A. | Zerstörung des Estedeiches in Hove |
Burchardiflut, Zweite Manndränke | 11.10.1634 | Deutsche Bucht | NN+4,30 m (Klixbüll) | k.A. | 15.000 Tote | Untergang von großen Teilen der Insel Strand |
Petriflut | 22.02.1651 | Deutsche Bucht | k.A. | k.A. | 15.000 Tote | Deichbrüche am Festland |
Weihnachtsflut | 24. bis 25.12.1717 | niederl. u. deutsche Küste | NN+4,89 m (Dangast) | k.A. | 11.150 Tote, 100.000 St. Vieh | größte bis dahin bekannte Sturmflut |
Neujahrsflut | 31.12.1720 bis 01.01.1721 | niederl. u. deutsche Küste | k.A. | k.A. | k.A. | Zerstörung von Deichen und Dörfern |
Markusflut, Amalienflut | 07.10.1756 | Elbegebiet | k.A. | k.A. | 600 Tote | k.A. |
Februarflut, Halligflut | 03. bis 05.02.1825 | Deutsche Bucht | NN+5,26 m (Dangast) | k.A. | 800 Tote, 45.000 St. Vieh | Deichbrüche, schwere Dünenverluste |
Neujahrsflut, Januarflut | 01. bis 02.01.1855 | Deutsche Bucht | NN+4,26 m (Norderney) | k.A. | k.A. | Zerstörung auf den Ostfriesischen Inseln |
Märzflut | 12. bis 13.03.1906 | niederl. u. deutsche Küste | NN+5,35 m (Dangast) | 2,65 m (Cuxhaven) | k.A. | höchste Sturmflut an der ostfriesischen Küste |
Ebbflut | 10.02.1949 | schlesw.-holstein. Küste | NN+2,90 m (Cuxhaven) | 4,08 m (Cuxhaven) | k.A. | höchster je gemessener Windstau von 5,70 m in Husum |
Hollandsturmflut | 31.01. bis 01.02.1953 | niederl. Küste | NN+2,99 m (Cuxhaven) | k.A. | 2.160 Tote, 47.000 St. Vieh | schwerste Naturkatastrophe des 20. Jhd. |
Hamburgflut, Zweite Julianenflut | 16. bis 17.02.1962 | Deutsche Bucht, Elbegebiet, | NN+5,70 m (St. Pauli) | 3,87 m (Cuxhaven) | 340 Tote, 28.000 Häuser | Überflutung von Wilhelmsburg (FHH), viele Deichbrüche |
Zweite Niedrigwasser-Orkanflut | 23.02.1967 | deutsche Küste | NN+3,99 m (Cuxhaven) | 4,44 m (Cuxhaven) | k.A. | Windstärke bis zu 14 Beaufort (140km/h) |
5 Sturmfluten binnen eines Monats | 13.11. bis 14.12.1973 | deutsche Küste | NN+5,33 m (St. Pauli) | 2,94 m (Cuxhaven) | k.A. | längste Sturmflutkette, Zerstörung von Deichen, Abbrüche auf Sylt |
Erste Januarflut von 1976 | 03.01.1976 | Deutsche Bucht, Elbegebiet | NN+6,45 m (St. Pauli) | 4,23 m (Cuxhaven) | k.A. | bis heute höchste Sturmflut |
Novemberflut, Nordfrieslandflut | 24.11.1981 | Nordfriesland | NN+4,75 m (Cuxhaven) | k.A. | k.A. | höchste Scheitelwasserstände in Nordfriesland seit 1976 |
Sturm-, Orkan- und Windflut | 26. bis 28.02.1990 | Deutsche Bucht | NN+4,51 m (Cuxhaven) | k.A. | k.A. | zwei Sturm-, zwei Orkan- und eine Windflut binnen drei Tage |
Januarflut von 1994 | 28.01.1994 | Deutsche Bucht | NN+6,02 m (St. Pauli) | 3,13 m (Cuxhaven) | k.A. | k.A. |
Orkan Anatol | 03.12.1999 | gesamtes Nordseegebiet | NN+4,51 m (Cuxhaven) | 3,68 m (Cuxhaven) | k.A. | Abflauen des Sturms vor astronomischer Hochwasserzeit |
Allerheiligenflut von 2006 | 01.11.2006 | gesamtes Nordseegebiet | NN+5,17 m (Emden) | 2,83 m (Cuxhaven) | k.A. | höchste Pegelstände im Bereich der Ems seit der Sturmflut von 1906 |
Sturmtief Tilo | 09.11.2007 | Deutsche Bucht | NN+5,42 m (St. Pauli) | 2,79 m (Cuxhaven) | k.A. | schwerste Sturmflut in Hamburg seit 1990 |
Orkan Xaver | 05. bis 06.12.2013 | gesamtes Nordseegebiet | NN+6,09 m (St. Pauli) | 2,87 m (Cuxhaven) | k.A. | k.A. |
Seit der Sturmflutsaison 2009/2010 veröffentlicht das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) Hintergrundinformationen zu allen Sturmflutereignissen an den deutschen Küsten.